Druckfrisch
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Literatur (D 2025)
"Wiederholung" von Vigdis Hjorth (S. Fischer): Was, wenn die Erinnerung nicht vergehen will? Wenn das traumatische Erlebnis immer wiederkehrt? Wenn die Wiederholung sich immer wieder wiederholt? Norwegens bedeutende Autorin Vigdis Hjorth hat daraus packenden Romanstoff gemacht. Es ist so etwas wie das Lebensthema von Vigdis Hjorth: die schmerzende Erinnerung, die einen immer wieder einholt. Auch die Protagonistin in ihrem neuen Roman kann der Vergangenheit nicht entkommen. Beim Lauf durch den Wald kehren in den Gedanken der erwachsenen Frau immer wieder die Erlebnisse als Sechzehnjährige zurück. Es sind Erinnerungen an die ersten sexuellen Erfahrungen, an die erdrückende Enge ihres Elternhauses und an die falschen Erwartungen unter Jugendlichen. Erst in der quälenden, steten Gedankenschleife schälen sich Wahrheiten heraus, die bisher im Verborgenen lagen. Auch in ihrem bisher aufsehenerregendsten Buch "Ein falsches Wort" ist Vigdis Hjorth tief in die Traumata eingetaucht, die die Vergangenheit vergraben hat. Der autofiktionale Roman provozierte damals einen "Gegenroman" ihrer Schwester Helga Hjorth. Auch darüber spricht die Norwegerin im druckfrisch-Interview, ebenso wie über den inspirierenden Einfluss des großen dänischen Philosophen Søren Kierkegaard auf ihr Werk und darüber, warum die Literatur in Norwegen eine wichtige politische Angelegenheit ist. "Sehr geehrte Frau Ministerin" von Ursula Krechel (Klett Cotta): Nicht weniger als eine "Kulturgeschichte aller Frauen" verspricht der Verlag im Klappentext. In jedem Fall ist es eine Geschichte der Gewalt, die Frauen widerfährt – von der Geschichte bis in unsere Zeit. Ein dichter, kluger und nachhallender Roman. Ursula Krechel erzählt von vielen Frauenleben zugleich. Dem von Eva Patarak zum Beispiel. Sie arbeitet in einem Kräuterladen in Essen, ist alleinerziehend und hat über die Jahre den Kontakt zu ihrem Sohn verloren. Eva würde gerne mit ihm sprechen, sich austauschen; der verbringt seine Zeit aber lieber am PC. Silke Aschauer ist Lateinlehrerin und möchte gerne einen Roman über Eva Patarak schreiben, was diese jedoch nicht möchte. In ihrer Not wenden sich beide an die "Sehr geehrte Frau Ministerin". Wie Krechel diese Frauenschicksale raffiniert miteinander verwebt und auch noch dazu wie nebenbei die Geschichte von Agrippina und ihrem Sohn, dem späteren römischen Kaiser Nero, als eine in Gewalt endende Ur-Geschichte der Mutter-Sohn-Beziehung einflicht, ist literarisch ambitioniert. Und doch geht die Geschichte auf großartige Weise auf. Eine Geschichte, die nicht nur von äußerer Gewalt erzählt, sondern auch von der physischen, hormonellen Gewalt, die im Körper vieler Frauen immer wieder tobt. Empfehlung von Denis Scheck: "Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch" von Elke Schmitter (C.H. Beck): Eher trocknen Ozeane aus, eher zerbröseln Berge zu Sand und eher steht die Sonne am Himmel still, als dass unglücklich Liebende vom Objekt ihrer Zuneigung lassen. Von dieser Erfahrung einer schmerzhaft unerwiderten Liebe erzählt Elke Schmitter in ihrem berückend klugen Roman. Dabei hatte alles so perfekt begonnen. Helena ist Künstlerin und trifft auf einer Silvesterparty in Berlin den Musikphilosophen Levin. Man kommt sich näher, man versteht sich blind, zumindest scheint es so, man seufzt nicht wie in Goethes "Werther" "Klopstock!", sondern "Luhmann!", sonst ist aber alles Jubel, Verheißung und Glück. Beide sind Gehirntiere, hochreflektiert, therapieerfahren und psychologisch versiert. Das schützt Helena jedoch nicht davor, sich heillos in diesen Levin mit dem Samuel-Beckett-Gesicht und der sanften Stimme zu verlieben und seine Gegenliebe auch dann noch zu suchen, als sein Interesse an ihr erlischt, er den Kontakt abbricht und sie ghostet. Über das Drama der Liebe scheint alles erzählt. Doch wie schon Heinrich Heine wusste: "Es ist eine alte Geschichte, / Doch bleibt sie immer neu; / Und wem sie just passieret, / Dem bricht das Herz entzwei." Wer glücklich liebt, mag dieses Buch als Erinnerung lesen, dass dieses Glück nicht selbstverständlich ist. Wer unglücklich liebt, als Trost – und als Mahnung, dass es immer noch schlimmer kommen kann. Außerdem in Druckfrisch: Musik der ladinischen Singer-Songwriterin Maria de Val und Denis Schecks erfrischend pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Belletristik.
- "Wiederholung" von Vigdis Hjorth (S. Fischer).
- "Sehr geehrte Frau Ministerin" von Ursula Krechel (Klett Cotta).
- Empfehlung von Denis Scheck: "Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch" von Elke Schmitter (C.H. Beck).
Wertung
Wiederholung
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