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MDR
Fr, 06.06.2025 | 01:10 - 01:40

Kultur (D 2025)

Pflichtbesuche in KZ-Gedenkstätten? Vor anderthalb Monaten jährte sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. Die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten, wie der Völkermord an den europäischen Juden, scheinen in immer weitere Ferne zu rücken. Immer mehr Deutsche wollen einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung des Nationalsozialismus ziehen, das zeigen neue Studien. Karin Prien, die neue Bundesbildungsministerin, will gegensteuern: mit einem Pflichtbesuch von Schülerinnen und Schülern in KZ-Gedenkstätten. Mit einer guten pädagogischen Begleitung können so nicht nur Wissen und Kompetenz vermittelt werden, sondern man könnte die Kinder und Jugendlichen auch emotional erreichen, so die Bundesbildungsministerin. Experten wie Jens-Christian Wagner, der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, sind skeptisch. Niemand könne zum besseren Menschen gemacht oder geimpft werden gegen rechtsextreme oder antisemitische, rassistische Einstellungen, wenn er einmal eine Gedenkstätte besucht hat, sagte er im Interview. Wichtiger sei vielmehr eine intensive Vorbereitung im Geschichtsunterricht. Doch der werde in den Lehrplänen der Schulen immer mehr zusammengestrichen, so Wagner. Die Gedenkstätte Buchenwald könne auch die steigende Nachfrage kaum befriedigen, man sei schon jetzt mit dem Personal und den Räumlichkeiten an den Grenzen der Kapazitäten angekommen. Sächsische Schüler müssen für den Besuch einer KZ-Gedenkstätte das Bundesland verlassen. Denn die Sachsenburg, die einzige KZ-Gedenkstätte des Freistaats, befindet sich seit einigen Jahren im Aufbau. Ob das marode und dringend sanierungsbedürftige Areal überhaupt weiter zu einer Gedenkstätte ausgebaut werden kann, war zwischenzeitlich unklar, weil im aktuellen sächsischen Haushalt keine Mittel eingeplant waren. Eine Katastrophe, so Mykola Borovyk, der Leiter der Gedenkstätte Sachsenburg. Angesichts des Aufkommens rechtsradikaler Kräfte seien doch solche Gedenkstätten ein "Rückgrat der demokratischen Gesellschaft". Und wie sehen das die Schüler selbst? "Krieg und Frieden" am Theater Magdeburg – Was haben die napoleonischen Kriege mit dem MuFuTi, dem Multifunktionstisch der DDR, zu tun? Charly Hübners Inszenierung von "Krieg und Frieden" am Magdeburger Schauspiel beantwortet diese Frage überraschend und sehr eindringlich. Seit über 30 Jahren geht Charly Hübner der Schauspielerei nach, als Regisseur für Spiel- und Dokumentarfilme hat er sich einen Namen gemacht. Mit "Krieg und Frieden" in der Version von Roland Schimmelpfennig – der als meistgespielter Gegenwartsdramatiker gehandelt wird – gibt Hübner jetzt sein Theaterregiedebüt. Wir waren bei der Generalprobe dabei, und der Abend ist ein Spektakel zwischen Lärm, Klamauk und Stille. Theater eben. Ein Abend, der von einer nervösen Gesellschaft kurz vor dem Krieg erzählt und dem, was folgt. Neben dem Smalltalk über den Krieg in russischen Adelsfamilien, üppige Feste, auf denen man seine Angst wegtanzen kann, und wieder daneben die verzweifelte Gier nach noch mehr Reichtum, als würde dieser Frieden bringen. "Wir sind einfach eine Schauspielertruppe, die sich den Stoff nimmt, mit den Mitteln, die sie eben haben, und den Stoff nach vorne knallen." erzählt Charly Hübner im Interview. Das hat er getan, und das hat funktioniert. Die Inszenierung wurde in Magdeburg frenetisch gefeiert. Jassin – ein Rapper und Sänger aus Wittenberg – Vor einem Jahr erscheint Jassin wie aus dem Nichts auf der musikalischen Bildfläche. Er lädt einen Song auf TikTok hoch, der sofort viral geht. Seitdem bahnt er sich seinen Weg hin zu einem der spannendsten Newcomer, die Deutschland gerade zu bieten hat. Seine Songs sind persönlich, gesellschaftskritisch, reflektiert. Er singt und rappt über sein Leben, das zuweilen sehr düster war. Jassin wächst in Lutherstadt Wittenberg als Sohn einer Deutschen und eines Ägypters auf. Probleme in der Familie, Einsamkeit, Gefühle, nicht dazuzugehören, Rassismus, Selbstzweifel, Mobbing, Angst, Wut… all das verarbeitet der 20-Jährige in seiner Musik. So ehrlich und verletzlich wie kaum ein anderer in seinem Alter. Damit trifft er den Nerv seiner Generation, die sich gerade jetzt nach Authentizität, Sensibilität und Orientierung sehnt. In Jassin finden sie jemanden, der Dinge thematisiert, die sie selbst sich vielleicht noch gar nicht trauen würden, zu äußern. Gerade spielte Jassin seine erste, komplett ausverkaufte Tour. Live erleben kann man ihn am 6.6. auf dem Fuego a la isla Festival in Chemnitz. Arthur Francks Film über einen Sommer, der die Welt verändert hat – Die Welt, 1975: Geteilt in zwei Blöcke, im nur sachte vom Geist der Entspannungspolitik angetauten Kalten Krieg. Und doch versammeln sich in diesem Sommer '75 in Helsinki die Staats- und Regierungschefs aus Ost und West, von ganz Europa inklusive der Sowjetunion sowie den USA und Kanada. Nach zweijährigen Vorgesprächen, über 600 Verhandlungstagen werden sie die Schlussakte der "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) unterzeichnen – und so, ohne es zu ahnen, das Ende des Kalten Krieges einläuten. Der finnische Filmemacher Arthur Franck hat einen bemerkenswerten Dokumentarfilm über diesen fast in Vergessenheit geratenen Wendepunkt der Geschichte gemacht. "Der Helsinki Effekt" ist eine radikal subjektive, formal waghalsige, enorm unterhaltsame filmarchäologische Erkundung. Eine Liebeserklärung an die Mühsal der Diplomatie, montiert aus hunderten Stunden Archivmaterial. Ein Film zur rechten Zeit, angesichts einer Gegenwart, in der vermeintliche Dealmaker und Autokraten die Weltpolitik dominieren und das Recht des Stärkeren die Diplomatie und das Bemühen um Ausgleich zu ersetzen droht. Er habe zeigen wollen, wie wir in der Vergangenheit immens komplizierte Probleme lösen konnten – durch Diplomatie, sagt Regisseur Arthur Franck. Wir haben ihn am Schauplatz des Geschehens, in Helsinki, getroffen und mit ihm über den "Helsinki Effekt" und die Lehren der Geschichte gesprochen. Sein Film kommt am 12. Juni ins Kino.

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  • Jassin – ein Rapper und Sänger aus Wittenberg.
  • Arthur Francks Film über einen Sommer, der die Welt verändert hat.
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