Druckfrisch

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ARD
So, 16.11.2025 | 23:35 - 00:05

Literatur (D 2025)

"Schwebebahnen" von Hanns-Josef Ortheil: Eine Kindheit im Wuppertal der Nachkriegszeit. Zwischen Eisenbahnern und Schwebebahnen. Im Schwebezustand befindet sich auch der kleine Josef. Wird er Freunde, wird er seinen Platz im Leben finden? Schon häufig hat Hanns-Josef Ortheil die teils schwierigen Phasen seines Erwachsenwerdens in Romanen verarbeitet. Diesmal greift er sich die Zeit Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre heraus. Die Familie ist ins Bergische Land gezogen, um dem sechsjährigen Sohn einen Neuanfang zu ermöglichen. In der ersten Klasse in Köln ist er bereits gescheitert und als Sonderling und Einzelgänger verspottet worden. Ein Träumer, der sich am liebsten ins Klavierspielen flüchtet, bleibt Josef auch in Wuppertal. Aber dann steht plötzlich Mücke, die Tochter des Gemüse- und Feinkosthändlers, vor ihm. Und für Josef eröffnet sich eine neue Welt. Hanns-Josef Ortheil erzählt poetisch-leicht von einer schweren Zeit und entfaltet zugleich ein Panorama des Arbeiter-Alltags in der frühen Bundesrepublik. Denn nicht nur Josef hat mit den Härten und Versehrungen des Lebens zu kämpfen. Die Traumata des Krieges sitzen tief im Bewusstsein der Erwachsenen. Hoffnung und Ablenkung versprechen ein Besuch im Zoo, beim Heimspiel des Wuppertaler SV oder in der neu erbauten Schwimmoper. Und ganz allmählich findet nicht nur Josef wieder Halt im Leben. "Ins Dunkel" von Angela Steidele : Was wäre, wenn Marlene Dietrich und Greta Garbo Freundinnen gewesen wären? Wenn die Dietrich der Garbo Königsberger Klopse an den Set gebracht hätte? Wenn wiederum Greta Garbo und Erika Mann kurz vor deren Tod in einem Schweizer Ski-Ort aufeinandergetroffen wären? Angela Steidele spielt mit der Kraft der Imagination, wie sie sonst nur große Filmdramen erzeugen können. Dazu taucht sie ein in den dekadenten Glamour der Roaring Twenties und verwebt das Leben der großen Diven, Regisseure und Produzenten dieser Zeit selbst zu einer großen filmischen Erzählung. Wie passend! Ihr Personen-Tableau ist illuster: Greta Garbo, Marlene Dietrich, Ernst Lubitsch, Friedrich Wilhelm Murnau, Leni Riefenstahl, Erika und Klaus Mann und viele mehr. Die Geschichte kreist um die Geburtsstunde des Tonfilms. Die Szenen springen zwischen der Schweiz, Berlin und Hollywood. Nicht nur filmgeschichtlich ist die Zeit im Umbruch, auch politisch taumelt die Welt in eine andere, dunklere Zeit. Und so trifft der Titel von Steideles Roman gleich zweimal ins Schwarze: "Ins Dunkel" meint hier den Pfad in den faschistischen Abgrund genauso wie den Weg "Ins Dunkel" der Kinos. Stilistisch hält sich Steidele an die Methodik und das Vokabular der Filmemacher. In Rückblenden, Schnitten und Parallelmontagen konstruiert sie ihre unerhörte Geschichte und vermischt dabei lustvoll Fakten und Fiktion. – Empfehlung von Denis Scheck: "Liebste Freundin!" von Jane Austen Manche lassen mit den Werken Jane Austens die Geschichte des modernen Romans überhaupt erst beginnen. Mit "Liebste Freundin!" erscheinen zu ihrem 250. Geburtstag sämtliche ihrer Briefe erstmals auf Deutsch. Jane Austen war zeit ihres Lebens nie auf dem europäischen Festland. Sie hat, soweit man weiß, nie Sex gehabt. Den einzigen Heiratsantrag, den sie erhalten hat, nahm sie zunächst an, nur um am nächsten Morgen doch noch abzulehnen. Ihr Erfahrungskreis blieb auf Englands Süden und gelegentliche Besuche Londons beschränkt. Der Eindruck, dass in Jane Austens Werk Geschichte und Politik ausgespart bleiben, hat der große amerikanische Jane-Austen-Verehrer John Updike einmal in dem klugen Bonmot zusammengefasst: "Für Jane Austen war Napoleon die Ursache, dass es auf dem englischen Land so wenige Heiratskandidaten gab." So bescheiden sich der Horizont von Janes Austens Lebenskreis ausnimmt, ihre Briefe vermögen immer wieder zu überraschen. Über ganze Jahre ihres kurzen Lebens wissen wir nichts, weil Familienangehörige ihre Korrespondenz vernichtet haben. Auch dass Jane Austen offenbar ab und zu auf die Jagd ging, wird viele Leserinnen und Leser verblüffen. "Es heißt, dass es dieses Jahr erstaunlich viele Vögel hier in der Gegend gibt", berichtet Austen am 1. September 1796, während sie an "Verstand und Gefühl" schreibt, "vielleicht kann sogar ich ein paar schießen." "Liebste Freundin!", die Ausgabe mit sämtlichen Briefen Jane Austens ist in der neuen Übersetzung von Andrea Ott im Manesse Verlag erschienen. Außerdem in "Druckfrisch": Ein Text des Schriftstellers Albert Ostermaier über den Dichter Rainer Maria Rilke, der vor 150 Jahren geboren wurde. : Und: Denis Schecks erfrischend pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Sachbuch.

Thema
  • "Schwebebahnen" von Hanns-Josef Ortheil (Luchterhand).
  • "Ins Dunkel" von Angela Steidele (Suhrkamp).
  • Empfehlung von Denis Scheck: "Liebste Freundin!" von Jane Austen (Manesse Verlag).
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