Kein Kinderspiel!

Kein Kinderspiel!
ZDF
Di, 15.10.2024 | 22:15 - 22:45

Gesellschaft (D 2024)

Deutsche Kitas sind überlastet. Wegen Personalmangels droht Kinderbetreuung zu Aufbewahrung zu werden. Zeit für Erziehung und Bildung fehlt – eine Herausforderung für Erzieher. Kitas sind geprägt von Personalmangel und Krankheitsausfällen. Öffnungszeiten werden gekürzt, Betreuungsschlüssel nicht eingehalten. "37°" begleitet eine Kitaleiterin und eine Erzieherin – beide ringen mit ihren Kräften und um ihre pädagogischen Ansprüche. Oskar weint, weil er eine volle Windel hat. Mathilda gerät mit Milo aneinander, weil beide dasselbe Spielzeug wollen. Und Niklas, einem Kind mit erhöhtem Förderbedarf, ist gerade einfach alles zu viel – er muss raus aus der Gruppe, mal durchatmen. 20 Kinder, 20 Bedürfniswelten, eine Erzieherin – wie soll sie all diesen Anforderungen gerecht werden? Alltag in deutschen Kitas. Unbesetzte Stellen, allgemeine Erschöpfung der Beschäftigten und eine ungewöhnlich hohe Fluktuation in der Belegschaft sind Realität. Und wo kein Personal, da auch keine Betreuung: Bundesweit gibt es derzeit mehr als 400.000 Kitaplätze zu wenig, Betreuungsausfälle sind an der Tagesordnung, und der Betreuungsschlüssel kann nicht mehr eingehalten werden. "37°" bietet Einblicke in die gewachsenen Herausforderungen im Kitaalltag und beobachtet, welche Auswirkungen dies auf Erzieherinnen und Erzieher, Eltern und Kinder hat. Claudia Fuchs (59) leitet seit Herbst 2019 den Paul-Gerhardt-Kindergarten in Bruchsal und kämpft jeden Tag mit den enormen Belastungen: "Wenn eine Kraft ausfällt, und die anderen müssen für sie mitarbeiten, dann macht das natürlich noch müder, und dann muss man aufpassen, dass es keine Kettenreaktion gibt", sagt die gelernte Erzieherin. Sie sieht die gestiegenen Anforderungen an die Kolleginnen und Kollegen jeden Tag. Mit "Dienstplanpuzzle" und viel Flexibilität schafft sie es, in ihrer Einrichtung trotz allem zu 100 Prozent besetzt zu sein. Fehlt das Personal mal wieder krankheitsbedingt, springt sie selbst regelmäßig ein. Auch mit Zusatzkräften wie FSJlerinnen und FSJlern sowie mit Rentnerinnen und Rentnern sorgt sie für Entlastung. Doch der Kampf gegen Windmühlen hinterlässt seine Spuren: "Ich weiß nicht, ob ich es noch länger machen kann. Und an diesem Punkt war ich nicht einmal in den letzten fünf Jahren, dagegen war Corona eine Leichtigkeit." Der Film begleitet Claudia Fuchs in ihrem Arbeitsalltag und zeigt die Schwierigkeiten in der Organisation einer Kita. Immer neue Vorschriften, die dramatische Personalproblematik, aber auch die modernen Erziehungsmethoden der Eltern – alles zusammen führt dazu, dass Kinderbetreuung heute alles andere als ein Kinderspiel ist und selbst eine Macherin wie Claudia Fuchs nach und nach an ihre Grenzen kommt. Für Diana Nowak (35) aus Halle an der Saale war Erzieherin immer ein Traumberuf – aus Liebe zu Kindern. Heute ist die zweifache Mutter in beruflicher Hinsicht so manches Mal am Ende ihrer Kräfte. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen der Kita "Am Stadtpark" leiden unter der angespannten Situation: "Heute fehlen acht Fachkräfte. Trotzdem muss dieselbe Anzahl an Kindern betreut werden", erzählt sie. Mehr Aufbewahrung als Bildung. Ein frustrierendes Trauerspiel. "Das ist ein richtig schlimmes Gefühl, man möchte ja für alle da sein." Schlimmer noch – die Dauerbelastung führte bei ihr zu gesundheitlichen Problemen: "Ich bin auf dem Weg zur Arbeit gewesen, und dann ging nichts mehr, ich musste rechts ranfahren. Ich habe meine Chefin angerufen und gesagt: Ich kann nicht kommen, ich kann nicht denken, ich weine nur noch. Ich bin nur noch am Zittern. Ich bin völlig am Ende." Ihr ergeht es wie vielen anderen in diesem Beruf: "Leises Burnout", so die Diagnose im Herbst 2022. Für ihre eigenen Kinder fehlt ihr oft die Kraft. Doch noch möchte Diana ihren Traumberuf nicht aufgeben – allen strukturellen Problemen und Widerständen zum Trotz. Der Film ist die Bestandsaufnahme einer aktuellen sozialen und politischen Großbaustelle. Er dringt ein in das Universum Kita, geprägt von Überbelastung und strukturellen Problemen. Er reflektiert eine Realität, in der es mehr Konflikte und Emotionen als konkrete Lösungen gibt. Diese sind kaum in Sicht. Und wer garantiert, dass Menschen wie Claudia Fuchs und Diana Nowak auch künftig die Kraft für ihren Beruf haben, wenn sich am System nicht grundlegend etwas ändert? Wer betreut dann die Kinder? Die "37°"-Sendung steht am Sendetag ab 8.00 Uhr in der ZDFmediathek zur Verfügung.